Vor vielen Jahren, noch ganz jung, hatten sich das kleine Weiche und das große Knochige gefunden und sich gemeinsam auf den Weg des Lebens gewagt.
Damals war das kleine Weiche noch nicht so weich und das große Knochige noch nicht so knochig.
Aber sie spürten irgendwie schon, dass sie zwei Teile eines Ganzen sein könnten.
Über die Jahre zeigten sich auf dem Weg der Beiden manche Dunkelheiten, steile Wege, gefährliche Klippen, aber auch viele Augenblicke des Glücks mit einer weiten Sicht, über alle Tiefen hinaus.Das kleine Weiche und das große Knochige kreisten um gemeinsame Gedanken, viele Aufgaben, Ziele, rangen aber auch um Eigenes und trugen oft alte Rucksäcke mit schweren Steinen mit sich herum.
Manchmal entfernten sie sich auch voneinander, mehr im Innen, weniger im Außen und doch blieben sie, von unsichtbaren Fäden gehalten, verbunden. Diese unsichtbaren Fäden waren die Basis für Gedanken, die gleichzeitig gedacht und Gefühle, die gleichzeitig gefühlt wurden und für Sätze, die der Eine begann und der andere zu Ende führte.
In den Zeiten der großen Nähe zeigte sich Gemeinschaft und Liebe. In anderen Zeiten wollten Aufgaben bewältigt werden, die das Leben den Beiden stellte. Große, eigene Aufgaben, manchmal fast zu groß für einen allein. Dass diese Aufgaben zu wertvollen Erfahrungen werden konnten, war auch zu danken, dass der oder die Eine immer den Anderen hinter sich spürte, so dass es weder ein Zurückweichen noch ein Umfallen brauchte.
Nach vielen Jahren begannen die Klippen weniger hoch, die Dunkelheiten weniger tief und das Niemandsland weniger groß zu scheinen und der gemeinsame Weg weitete sich und führte über mildere Höhen und durch sanftere Täler. In dieser Zeit erkannten das kleine Weiche und das große Knochige, dass die unsichtbaren Fäden einen silbernen Schimmer angenommen hatten.
Und als sie endgültig aufhörten, in „ich“ und „du“ zu denken, konnten sie zwischen sich eine Schale erkennen, in die das „wir“ gebettet war. Diese besondere Schale wurde immer glänzender und kostbarer, je mehr Dinge in sie hineingelegt wurden. Dinge, wie Geduld, Verständnis, Liebe, Zuwendung, Zeit, Nähe, Empathie, Klarheit, Abstand, Freiheit und vieles mehr.
Im Laufe der Zeit füllte sich die Schale mit wunderbaren Energien und als die Schale soweit gefüllt war, um überzufließen, verteilen sich die wunderbaren Energien in der Welt und magische Kräfte, wie Vertrauen in das große Ganze, entfalteten sich. Das kleine Weiche und das große Knochige erfuhren es als eine Zeit der Ernte. Die Ernte der vielen, vielen kleinen Samenkörner, die über die Jahre in die Erde gelegt wurden und die geduldig darauf gewartet hatten, bis die Zeit reif war, zu sprießen und zu gedeihen. Manche dieser wachsenden Samen verwandelten sich in Blumen, die „Freude“ hießen. Eine andere, leuchtend rote und überwuchernde Blume nannte sich „Liebe“. Andere Samen wuchsen zu Glück, Zufriedenheit, Leichtigkeit und innerem Reichtum heran. WUNDERschöne Pflanzen!
Und doch ist es in der Natur so, dass auch blühende Gewächse nicht immer blühen, denn sonst könnten wir den Blick für die Besonderheit und das Wunder der Blüte verlieren. Es ist vorgegeben, dass es Zeiten gibt, in denen die Pflanze ruht, sich zurückzieht vom Außen, um im Innen Kraft zu sammeln. Es sammeln sich die inneren Kräfte und konzentrieren sich, bis es wieder an der Zeit ist, sich zu neuer Blüte zu entfalten.
Wie alles in der Welt erlebten auch das kleine Weiche und das große Knochige diese Phasen des natürlichen Ein- und Ausfaltens. Je mehr sie sich dieser Einen Bewegung anvertrauen konnten und zuversichtlich erkannten, wie groß das Geschenk des Lebens ist, desto einfacher zeigte sich, wie das Leben gelebt werden will. Im abwechselnden Vorwärtsgehen fanden sich auf dem Weg kostbare Gaben, gleichgesinnte Freunde, die wundervollen Blüten der Herzensqualitäten und das Erkennen: Der Andere bin ich !
Geschrieben am 4. Januar 2017 von Petra Gietl –
Gewidmet meinem Liebsten zum 40. Hochzeitstag am 30. April 2021